Der Onlinehandel boomt – dieser These würde heutzutage wohl kaum noch jemand widersprechen. Wer doch Zweifel hegt, schaue sich aktuelle Zahlen des Bundesverbandes des Deutschen Versandhandels an: So verzeichnete der Online-Handel in Deutschland für das Jahr 2013 einen Umsatz von rund 39,1 Milliarden Euro. Zu Recht ein Grund zur Freude für Shop-Betreiber. Während sich Inhaber von Online-Versandhäusern also freudestrahlend die Hände reiben, knirschen viele Ladenbesitzer mit den Zähnen. Der Frust sitzt tief. Die Händler sind genervt vom sogenannten Showrooming-Kunden, der in den Laden kommt, um Produkte zu testen und sie dann anschließend online zu kaufen. Doch nun durchzieht ein Wandel die Welt des Einzelhandels. Der rasante Aufstieg des Online-Handels beginnt allmählich abzuflachen und viele Kunden besinnen sich zurück auf die Vorteile des klassischen Einzelhandels. Ihnen fehlt beim Internet-Shopping die individuelle Beratung oder die Möglichkeit, das Produkt vor dem Kauf in Händen zu halten. Zeitgleich nutzen sie das Internet so intensiv wie nie zuvor für kaufvorbereitende Produktrecherchen. Diese neue RoPo-Käuferschaft (Research online, Purchase offline) steigert den Druck auf Einzelhändler. Eine Überarbeitung des klassischen Vertriebskonzepts in Form einer Verschmelzung von Online und Offline rückt für viele Händler deshalb in den Vordergrund.
Multi-Channel: Die Weiterentwicklung des stationären Einzelhandels
Vor 20 Jahren war das Einkaufen noch simpel: Kunden kamen in den Laden, ließen sich beraten und kauften ihr Wunschprodukt. Mittlerweile hat das Internet, wie in so vielen anderen Lebensbereichen, eine Revolution eingeläutet. Online-Shops sprießen wie Unkraut aus dem Boden, und der stationäre Einzelhandel hat zunehmend Probleme, sich dagegen zu behaupten. Die Lösung für viele Händler: Sie verstehen Multi-Channel – zu Deutsch: Multikanalstrategie – als eine Möglichkeit, konkurrenzfähig zu bleiben, indem sie eigene Online-Shops neben ihren stationären Geschäften etablieren. Doch mit dieser Ansicht kommen viele Einzelhändler aufgrund mangelnder Expertise in Sachen E-Commerce ins Stolpern. Sie müssen sich Gedanken zu Liefermöglichkeiten sowie zusätzlichen Kosten machen. Zumal ein Online-Shop sie in direkte Konkurrenz mit E-Commerce-Platzhirschen wie Amazon oder Zalando treten lässt.
Eine Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und Google aus dem Jahr 2011 zeigte, dass sich 38 Prozent aller deutschen Konsumenten vorab im Internet über Produkte informieren, bevor sie diese im stationären Handel kaufen (RoPo) – Tendenz steigend. Das macht bei rund 71 Millionen Erwerbsfähigen in Deutschland etwa 27 Millionen Menschen aus. Ein ungeheures Potential für den Einzelhandel.
Setzt man dieses Kundenverhalten in den Fokus, wird es deutlicher: Einzelhändler können sich auf die Bedürfnisse dieser Kunden einstellen und die Vorteile des Internets nutzen, um mehr Laufkundschaft in die Ladengeschäfte zu führen. Die Nutzung zusätzlicher Online-Kanäle stellt eine reichweitenstarke und meist auch kosteneffiziente Möglichkeit dar, die eigenen Produkte zu bewerben. So haben viele Ladeninhaber den Mehrwert dieser Kanäle bereits erkannt, indem sie beispielsweise Aktionswaren über Social-Media-Kanäle bewerben, personalisierte Gutscheine über Newsletter verschicken, die die Kunden dann im Laden einlösen können, oder sogenannte Click- & Collect-Modelle einführen. Letztere bieten die Möglichkeit, ein Produkt online zu reservieren und in einer Filiale der Wahl abzuholen. Damit sparen Kunden sich lästige Lieferzeiten und eventuelle Retouren.
Nicht nur Einzelhändler machen sich über solche Themen Gedanken; auch viele Unternehmer schauen gespannt auf den Multi-Channel-Trend und arbeiten an verschiedenen Lösungen, um dem Stationärhandel unter die Arme zu greifen.
Ein junges Berliner Start-up arbeitet seit seiner Gründung Mitte 2013 an einer Suchmaschine für Produkte in der unmittelbaren Umgebung der Kunden. Locafox.de bietet produkt- und händlerspezifische Informationen wie Preise, Verfügbarkeit und Standort in Echtzeit an und ermöglicht Kunden, ihr Wunschprodukt online zu reservieren. Eine persönliche Beratung sowie Produkttests oder aber auch ein gemütlicher Plausch mit dem Ladenpersonal erfolgt dann im lokalen Geschäft – mit Absicht. Kunden können so noch am selben Tag ihr Produkt in Händen halten. Fabian Friede, Leiter des Marketings bei Locafox, fasst die Vision des Start-ups in einem Interview mit Locationinsider wie folgt zusammen: „Alle Produkte. Alle Einzelhändler. In jeder Stadt. Auf einer Plattform.“
Einen anderen Weg zeigt das Team von Hierbeidir. Das aus ursprünglich drei Gründern bestehende Düsseldorfer Team ging mit seiner Idee vor rund anderthalb Jahren an den Start. Das Konzept differenziere sich nach eigenen Aussagen vom Standard-Shop und der Etablierung nationaler Einzelhandelsketten mit ihrem breiten Warenangebot. Stattdessen fokussiere man sich auf kleine Geschäfte mit individuellen Sortimenten. Händler können sich über die Online-Plattform anmelden und ihre Sortimentsdaten zuschicken. Auf dem lokalen Marktplatz können Händler Produkte für den Online-Handel einbinden, ohne sich selbst um den Shop zu kümmern. Pflege sowie Abrechnung und Vermarktung der Produkte übernimmt das Hierbeidir-Team. Kunden können die Produkte dann auf der Plattform recherchieren und online kaufen. Geliefert wird die Ware mittels Fahrradkurier.
Auch Productmate bedient sich einer ähnlichen Idee. Das Hamburger Start-up deklariert sich als das „virtuelle Schaufenster des stationären Fachhandels“ und ist seit Dezember 2013 mit seiner Beta-Version des lokalen Marktplatzes online. Seitdem sind über 250 Einzelhändler beteiligt. Der Grundgedanke hinter dem Projekt folgt einer ähnlichen Überzeugung wie Hierbeidir: Es wird sich ausschließlich auf inhabergeführte Einzelhändler konzentriert. Jedoch gibt es auf Userseite gewisse Unterschiede, so fehlen hier z. B. Online-Kaufoptionen in Gänze. Interessiert sich ein Kunde für ein bestimmtes Produkt und klickt darauf, werden ihm Informationen zum Standort und Öffnungszeiten des Geschäftes angezeigt. Gekauft werden kann dann ausschließlich in der jeweiligen Filiale.
Multi-Channel? Ja, aber richtig!
Fazit: Multi-Channel ist ein effektives Werkzeug – sofern es richtig verstanden wird. Eine durchdachte Multikanalstrategie kann Einzelhändlern dabei helfen, ihre Existenz vor dem Aussterben zu bewahren. Die richtige Nutzung von Online-Kanälen muss sich dabei nicht zwangsläufig selbst beigebracht werden. Viele Unternehmen sprießen derzeit aus dem Boden, die die entsprechende Kompetenz auf diesem Gebiet mitbringen. Nutzen Händler diese Angebote, können sie attraktive Möglichkeiten wahrnehmen, um wieder mehr Laufkundschaft in die Ladengeschäfte zurückzuführen.
Grundsätzlich gilt allerdings, Einzelhändler dürfen neben der Informations-Distribution welche Produkte sie in welcher Menge und in welcher Größe verfügbar haben, natürlich nicht vergessen, dass der E-Commerce als überregionaler Wettbewerber, je nach Branche, häufig mit besseren Preisen droht.
Neben der lokalen Verfügbarkeit, sollten weitere Services bzw. relevante Vorteile für den Einkäufer geschaffen werden. Handygeschäfte könnten z.B. direkt vor Ort die Kontakte des Kunden auf sein neues Gerät umziehen lassen, Spiele und Fahrräder könnten ausprobiert werden und Anbieter wie z.B. Globetrotter machen es vor, hier können Jacken sogar in der Kältekammer getestet werden.
Es verspricht noch mehr Erfolg, wenn der Einzelhändler nicht Drittmarken lokal distribuiert, sondern vielleicht auch eigene Produkte, besondere Editionen oder lokale Spezialitäten im Sortiment führt, um sich vom Wettbewerb rechts, links und im Netz abzuheben.
Erst die richtige Sortiments-Kompetenz, entsprechend ausgebildetes und erfahrenes Personal, sowie digitale Verfügbarkeit von Informationen werden dem Einzelhändler ermöglichen einen Mehrpreis des Angebotes zu rechtfertigen. Wie hoch der Wert des Services vom Konsumenten bewertet wird, hängt vom Einzelfall ab. Die erhöhte Preistransparenz und der damit einhergehende verstärkte Wettbewerb bleiben jedoch bestehen.
Insbesondere müssen Einzelhändler verstehen und berücksichtigen, wie die jungen Kunden ticken und was diese bewegt. Ein Smartphone-Verbot im Geschäft führt dann im Zweifel eben nicht zum Beratungsklau, sondern verhindert, dass die Konsumentin ein Foto von sich im neuen Kleid an ihre besten Freundinnen schicken kann, um von diesen in wenigen Sekunden eine Zustimmung zur Produkt-Präferenz zu erhalten. Bieten Sie lieber einen kostenlosen W-LAN Hotspot im Geschäft an, anstatt Smartphones zu verbieten und die Schaufenster zu bekleben. Wenn Sie die Batterie aus Ihrer Uhr nehmen, läuft die Zeit deswegen auch nicht langsamer. Die Verbindung aus solchen Diensten, Services und Kompetenzen mit einem Dienst wie Locafox kann Einzelhändlern einen erheblichen Vorsprung vor dem Wettbewerb verschaffen.
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